Wir haben die Aussicht, einen Klimazusammenbruch zu erleben, den wir nicht verantwortet haben. Was hilft gegen die Angst und den Schmerz, keine Zukunft zu haben?
Wir schreiben das Jahr 2019. Ich sitze im Zug und weine. Die letzten Seiten von „Die Geschichte des Wassers“ von Maja Lunde sind gelesen, ich habe das Buch verschlungen. Oder es hat mich verschlungen. Geschichten fesseln mich, seit ich klein bin. Ich bin dann in der Geschichte, ich bin DIE Geschichte. Ich werde Eins mit dem Buch und ich brauch ein paar Tage, um wieder zu meinem eigenen Leben zurückzukehren um mich wiederzufinden, in meinem Leben. In diesem Moment im Zug ist das Buch mein Leben. Die Geschichte im Buch ist meine Geschichte. Ich blicke auf das Jahr 2041 und sehe meine Familie, wie wir kein Wasser mehr haben, nichts zu trinken, nichts zu essen, um das blanke Überleben kämpfe. Meine Tochter. Unsere Tochter. Unsere weiteren Kinder? Ich will Schluchzen, Schreien, mich vor Schmerz vor dem Heute und Sorge vor der Zukunft weinend auf dem Boden wälzen. Keiner der Mitreisenden könnte meine Tränen wirklich komisch finden. Ich weine nicht nur um meine Zukunft, sondern auch um ihre. Meine Tränen sollten auch ihre Tränen sein.
Wir sind alle im gleichen Zug. Unaufhörlich rasen wir auf eine große Katastrophe zu. „Wir müssen Wasser sammeln“, dachte ich. Große Zisternen. Wir brauchen Wasser. Ohne Wasser werden wir nicht leben können. Und mit Wasser? Wofür leben, wenn die Welt eine Wüste ist und aus Krieg besteht? Die Tränen laufen lautlos. Meine Augen laufen über, die Tränen bahnen sich ihren Weg über mein Jochbein und meine Wangen und tropfen in meinen Schoss. Tränenwasser. Trinkwasser. Meine Nase läuft. Nasenwasser.
Wie kann es sein, dass nur ich es bin, die weint? Habe ich zu viele Gefühle, zu viel Kapazität in mir, den Schmerz über den Zustand der Welt zu spüren? Ist das Limit der Anderen viel niedriger, können sie nicht fühlen? Wollen sie nicht fühlen? Können sie nicht fühlen, weil sie nicht können, oder können sie nicht fühlen, weil sie nicht wollen?
Es kann ihnen doch unmöglich gleichgültig sein, auf was wir hier zurasen. Climate breakdown. Ich starre aus dem Fenster. Braune spanische Landschaft. Ein paar grüne Flecken. Pinien. Olivenhaine. Wird es auch in zwanzig Jahren noch Olivenhaine geben? In fünfzig? Sind wir nicht total bescheuert, uns ausgerechnet hier niederzulassen? Warum gehen wir nicht nach Dänemark, Schweden, Norwegen. In die Wasserländer. Ich denke an meine Tochter, an meine lebendige, fröhliche, lachende, vor Lebensfreude sprühende Tochter. Was wollen wir denn hier? Spanien wird nie ein Wasserland werden. Vielleicht wird es den Ebrofluss in zwanzig oder fünfzig Jahren noch geben. Vielleicht habt wir Glück und sind nah genug an ihm dran, um von seinem Wasser gespeist zu werden.
Darf man so überhaupt denken? So egoistisch? Machen das nicht alle? Sollten nicht die, die es schaffen, den Zustand der Welt zu begreifen, das Recht haben, in der Zukunft mehr Rechte auf Wasser und Essen zu bekommen? Wieso sollen die, die umweltbewusst und nachhaltig leben, durch die Fehler der rücksichtslosen Konsumenten leiden müssen? Ich weiß warum. Jeder Mensch ist gleich. Wir sitzen alle in einem Boot, nur die Boote sind unterschiedlich.
Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Mit der Aussicht, aufgrund der Entscheidungen einzelner Großen einen Klimazusammenbruch zu erleben, den wir als Einzelner nicht verantwortet haben und gar nicht verantworten können. Und dann müssen wir noch mit der Aussicht leben, dass wir durch die Entscheidungen vieler Einzelnen kleinen Menschen noch viel schneller auf diese Katastrophe zusteuern.
Hinter der Angst steckt die Liebe zur Welt. Und in ihr wiederum steckt die Kraft, die wir brauchen, um Veränderungen zu bewirken. Joanna Macy
Wir entscheiden uns, auf welcher Seite wir stehen. Mit jedem Einkauf. Jeden Tag. Mit jeder einzelnen Plastikflasche, die mehr Erdöl verbraucht, um hergestellt zu werden, als sie Wasser als Inhalt fassen kann. Mit jedem Apfel aus Südamerika, der billiger ist als der lokale. Mit eingeschweißten Tomaten und vorgeschnittenen Kartoffeln. Mit fertig zurechtgeschnittenen Melonen, mit Saftpackungen. Mit jeder Plastiktüte, die wir nicht schaffen, zurückzuweisen. Mit jeder Fahrt mit dem Auto. Dem Flugzeug. Mit jedem Urlaub. Wir machen Urlaub von einem Leben, das unser Leben zerstört. Wir zerstören uns selbst.
Das ist es, was ich herausschreien will, den Mitreisenden und jedem, der mir begegnet an den Kopf werfen möchte. Damit sie endlich begreifen. Damit wir alle gemeinsam aus diesem Hamsterrad aussteigen.
Man erreicht heutzutage so einfach so viele Menschen. Ein Tweet, der viral geht und Hunderttausende Menschen lesen ihn und teilen ihn. Warum ist es so schwer, die Nachricht zu verbreiten, dass wir auf eine Sackgasse zusteuern?
Und dennoch ist dieses Leben so wunderschön, die Natur, die uns umgibt, die Familie, unser jetziges Leben. Es ist zu schön, um nur in Zukunfts-Dystopien zu denken. Und dennoch muss auch das Platz haben. Wir dürfen die Augen nicht verschließen. Müssen aufwachen. Glücklich sein. Bewusst.
Was können wir noch tun?
Verliere dich nicht in einem Meer aus Trauer. Sei hoffnungsvoll, sei optimistisch. Unser Kampf ist keine Sache von einem Tag, einer Woche, einem Monat oder eines Jahres. Unser Kampf geht unser ganzes Leben. John Lewis
Fünf Strategien gegen Klimaangst
Wie der obige Text, der im Januar 2019 entstanden ist, zeigt: Ich habe Klimaangst. Manchmal mehr, manchmal weniger. Ich habe meine Klimaangst akzeptiert, sie ist eine logische Reaktion auf die möglichen Gefahren, die durch die Klimakrise drohen. Ängste können helfen, aktiv zu werden und sich für einen Wandel einzusetzen. Wichtig ist bei Ängsten, die Handlungsfähigkeit nicht zu verlieren. Zum Problem wird es, wenn jemand von der Klimaangst sehr stark betroffen ist und Gedanken von Horrorszenarien und Katastrophen einen großen Leidensdruck erzeugen. Deshalb sammle ich mal ein paar Tools, wie man besser mit Klimaangst umgehen kann:
1. Sensible Informationsaufnahme
Wer mental unter den Hiobsbotschaften zum Klimawandel leidet, sollte Informationen mit Bedacht konsumieren. Viele Menschen brauchen deutliche Überschriften und Meldungen in den Nachrichten, um den Klimawandel überhaupt erst wahrzunehmen. Die Masse, die denkt, dass das alles nicht so schlimm ist, die muss aufwachen. Vielleicht mit einem Moment der Panik oder des Schocks. Wer aber schon über viele Fakten Bescheid weiß, muss sich nicht von schockierenden Bildern und Grafiken dauerbeschallen lassen. Wem das zu sehr zusetzt, muss darauf achten, die Nachrichten achtsam konsumieren. Dabei hilft, sich wissenschaftlich und sachlich mit nüchternen Fakten zu informieren, sich ein bestimmtes Zeitfenster dafür zu nehmen und das Gelesene danach mit anderen zu teilen.
2. Emotionale Nachhaltigkeit
Das Thema der Klimakrise wird uns unser ganzes Leben lang begleiten. Wir müssen also einen Umgang finden, der zu unserer Identität passt und uns in unserer mentalen Gesundheit nicht belastet. Wahrscheinlich sorgen wir uns schon und handeln dadurch. Ernähren uns klimabewusst(er), achten auf unseren Konsum, engagieren uns. Das hilft dem Klima. Was dem Klima nicht hilft, ist, in Panik zu verfallen und uns von morgen bis abends mit Horrorszenarien zu beschäftigen. Wenn wir über Jahre aktiv bleiben wollen, müssen wir auf unsere Akkus achten. Wir sollten die schönen Seiten des Lebens genießen, wir dürfen die Hoffnung bewahren und wir müssen unsere mentale Gesundheit pflegen. Sie ist wertvoll!
3. Ängste anerkennen
Wer sich mit der Klimakrise auseinandersetzt, der sieht seine Lebensträume schwanken. Vielleicht ist es das Haus mit Garten, in dem die Enkelkinder spielen, oder ein anderes, meist gar nicht so konkretes Bild. Es ist ein diffuses Bild der Hoffnung und einer glücklichen Zukunft. Dieser Raub der Zukunft durch den Kollaps der Ökosystem greift unsere Zukunftsillusion an und wirkt wie eine riesige Bremse. Diese Bremse zu erkennen und diesen Schmerz anzunehmen, hilft. Wenn wir uns bewusst werden, was uns bewegt, können wir die Emotionen benennen und darüber sprechen. Je mehr wir darüber sprechen, desto besser verstehen wir unseren Schmerz und unsere Angst. Sie kann uns dann nicht mehr lähmen, wir stehen über der Angst und empowern uns durch und mit ihr.
Werde dir der Komplexität bewusst. Sprich mit zehn Freund:innen über Klimaangst und für jede:n bedeutet diese Angst etwas anderes. Klimaangst ist komplex. Es kann Angst vor dem eigenen Tod beinhalten, Sorge um die Familie, Wut auf die ignoranten Mitmenschen, das System, die Politik. Überforderung und Ungewissheit, Krisenmüdigkeit und Identitätssuche, Scham und Trauer.
Ganz wichtig ist dabei in Bezug auf alle Arten von Klimaangst: Jede:r, der unsere Gesellschaft und den wachstumsorientierten Kapitalismus als ein falsches System und als belastend, wahrnimmt, ist nicht schwach oder krank. In unserer leistungsorientierten Gesellschaft mag für solche Emotionen wenig Platz sein, aber diese Gefühle sind keine Schwäche, sondern lediglich Empathie für das Leben.
4. Bleibe bei deinem Weg
Denkst du manchmal: “Ach, das bringt doch alles gar nichts. Das ist doch viel zu wenig”? Das stimmt nicht. Es ist nicht deine Aufgabe, die Welt zu retten. Du musst das für dich Richtige tun. Mach das, was in deinen Möglichkeiten liegt. Bleib bei deinen Idealen, verbittere nicht durch die (In)aktivität der anderen – der eine wird mehr machen, die andere weniger.
Lösche den Satz “Bringt doch alles eh nichts” aus deinem Wortschatz. Denn: Es bewegt sich etwas. Es hat sich schon viel getan. Ja, wir müssen noch mehr tun. Ja, wir haben nicht mehr viel Zeit. Aber alles, was du tust, jede Handlung, die du unternimmst, sorgt dafür, dass sich Dinge zum Positiven verändern! Bleib bei dir, kümmere dich um deine mentale Gesundheit und verlier die Hoffnung nicht, sondern schöpfe sie aus der Sinnhaftigkeit deines Tuns. Deine Hoffnung treibt dich an, du musst sie hegen und pflegen.
5. Finde Gleichgesinnte
Gemeinsam für das Klima kämpfen ist Balsam für die Seele. Mit anderen Menschen auf die Straße gehen und demonstrieren, in das Gefühl von Zugehörigkeit eintauchen und Hoffnung schöpfen: auch dafür ist es wichtig, bei Klimastreiks dabei zu sein. Aktivismus im Internet ist schön und gut. Aber ich als Mutter von zwei kleinen Kindern habe persönlich manchmal ein schlechtes Gewissen, dass es nicht darüber hinaus geht. Doch dann denke ich mir: Mehr kann ich gerade nicht leisten. Und das ist auch okay so. Aber wenn die Möglichkeit besteht, sich außerhalb der sozialen Netzwerke zu treffen und gemeinsam auf die gute Sache aufmerksam zu machen, dann nichts wie los. Es tut so gut.
Fazit
Zusammengefasst hilft mir gegen Klimaangst, mich auf das zu konzentrieren, was im Jetzt geschieht. Zu sehen, wie gut es mir und uns jetzt geht und letztlich die Sorgen um die Zukunft auch ein Stückchen wegschieben. Denn ja, es kann sein, dass wir in zwanzig oder dreißig Jahren kein Wasser mehr hier haben werden. Dann müssen wir sehen, was wir tun. Aber es hilft mir nichts, mir jetzt zwanzig Jahre lang Sorgen zu machen und mir dadurch diesen Zeitraum das Leben vermiese, obwohl doch noch alles im Kleinen gut ist. Im Großen natürlich nicht, aber ich kann das Große eben nicht alleine verändern. Also kümmere ich mich um das Kleine, kämpfe soweit ich kann, achte auf meine Ernährung, meinen Konsum, leite meine Kinder an, pflege meine mentale Gesundheit und versuche, bei mir und meiner Stärke zu bleiben. Ich weiß nicht, was die Zukunft bereithält. Aber ich weiß, wie ich es mir in der Gegenwart gut gehen kann.
Quelle: klima-angst.de