Stellt euch mal vor, wir stehen vor einer saftig grünen Wiese. Hier gibt es jede Menge Nährstoffe, Stickstoff ist in großer Menge verfügbar. Das kommt daher, dass die Wiese gedüngt wird.
Und jetzt stellt euch vor, wir sind auf einem mageren Standort. Es gibt keinen Dünger, also keine Nährstoffeintrag von außen. Magere Standorte haben oft mehr Stein, Sand oder Fels, als Erde. Sie haben karge Böden und in den kargen Böden sind kaum Nährstoffe verfügbar.
Für Naturschützer und Naturliebhaber ist klar: Der zweite Standort ist der wertvollere!
Denn:
Vielfalt braucht magere Böden.
Klingt erstmal nach einem Widerspruch, oder?
Viel Geld und keine Freunde
Es ist paradox, aber ein bisschen so wie im echten Leben (zumindest so wie im echten Leben in Entenhausen).
Dagobert Duck hat unglaublich viel Geld und gibt niemanden etwas ab. Also ist er ziemlich einsam, da in seinem Geldspeicher.
Donald Duck hat nie Geld, aber viele Kontakte. Sein Leben ist ziemlich bunt an Freunden, Bekannten und jep, auch an Gläubigern. Er hat zwar nicht viel, aber einsam ist er nicht.
Viel verfügbar: ICH nehm’ alles!
Pflanzen brauchen Nährstoffe zum wachsen. Und dort, wo es sie gibt, entsteht ein Gerangel um den besten Platz. Der Konkurrenzkampf ist groß. Den gewinnen nur die Stärksten. Die, die die Ellbogen ausfahren und sich am besten durchsetzen können. Und so blüht auf der saftig grünen Wiese in unserem ersten Beispiel scharfer Hahnenfuß, Wiesenkerbel und Löwenzahn. Die Vegetation (also die Pflanzen, die dort wachsen) wächst in die Höhe.
Die Wiese sieht “gesund” aus und frisch. Doch zählt man die einzelnen Pflanzenarten, die dort vorkommen, sind es nur etwa 10 verschiedene Pflanzen. Wenige Arten spielen hier den Big Boss und sind Inklusion anderer gegenüber nicht besonders aufgeschlossen.
Wenig verfügbar: Jeder findet seinen Platz!
Auf dem mageren Standort, aus unserem zweiten Beispiel oben, gibt es kaum Nährstoffe. Der Konkurrenzkampf ist gering. Die Pflanzen gehen sparsam mit den Ressourcen um, die ihnen zur Verfügung stehen. Ellbogen bleiben eingefahren, die Wuchshöhe bleibt klein. Lieber in Bodennähe bleiben und sich auf die Samenbildung konzentrieren. Höhe ist hier Nebensache.
Die Pflanzen der mageren Standorte würden wesentlich besser auf den gedüngten, mit Nährstoffen versehenen Standorten aus dem ersten Beispiel wachsen. Zumindest solange sie keine Konkurrenz haben. Dann würden sie eingehen.
Denn für den Konkurrenzkampf sind sie nicht gemacht. Also sind sie ausgewichen. Auf die mageren Standorte, und haben sich dafür im Laufe der Evolution angepasst. Wie Donald haben sie sich ein Superman-Cape umgelegt und wachsen jetzt als Phantomias weiter. Sie besitzen Super-Abwehrzellen für Sonne und/oder Salz, haben sich Super-Kräfte für extra feste Wurzeln zugelegt und trotzen Gegnern mit ätherischen Ölen, Stacheln, Bitterkeit oder Gift. Echte Super-Pflanzen sind das.
Und wo findet man die?
Magere Standorte gibt es jede Menge. Gemeinsam haben sie die geringe Verfügbarkeit von Nährstoffen, vor allem Stickstoff. Manche von ihnen entstanden durch den Menschen (zum Beispiel die Wachholderheiden durch die Schafbeweidung), manche werden durch die Natur gebildet (zum Beispiel Salzwiesen in Meernähe).
Arm, aber sexy
Wenn ihr beim Wandern oder bei einem Spaziergang auf eine blütenreiche Wiese stoßt, könnt ihr sicher sein: Das ist eine magere Wiese!
Denn auf Magerrasen könnt ihr bis zu 200 verschiedene und teils seltene Pflanzenarten finden! Viele davon sind spezialisiert und kommen nur dort vor. Sie passen sich ihrem mageren Standort mit geschickten Mitteln an. Mit ihrem speziellen Phantomias-Cape. Auf beweideten Wacholderheiden zum Beispiel durch stachelige Blätter (wie der namensgebende Wacholder).
Als “arm, aber sexy” betitelt der NABU die Hungerkünstler der Magerrasen. Und er hat Recht. Auf der Vegetation der Magerrasen verweilt der Blick gerne. Bunt sind sie, und regen mit der Vielfalt an Pflanzen auch die anderen Sinne an. Der Duft der zahlreichen Kräuter, das Summen der Insekten und das Flattern der Tagfalter, während im Hintergrund Grillen und Heuschrecken zirpen. Ein schöner Ort zum Verweilen.
Hier findet ihr magere Standorte:
Auf kargen Steinen, auf Kies oder Geröll.
Auf abgegrasten Weiden, die von Ziegen und Schafen kurz gehalten werden.
Auf Brachflächen in der Stadt.
Auf salzigen Standorten, die vom Meer überflutet werden oder durch salzige Grundwasserquellen mitten in Deutschland vorkommen.
Auf Sand.
Und dann gibt es noch so verrückte Standorte wie ehemalige Uran-Abbaugebiete oder Erz-Abbaugebiete. Im Falle des Erzes war ich im Rahmen meines Naturschutz-Studiums einmal auf einem Schwermetallrasen. Viel wuchs da nicht, aber die Pflanzen, die damit klar kamen, hatten kaum Konkurrenz. Wer hier überlebt, hat wirklich Superkräfte.
Ein Paradies für Vertriebene
Ihr seht also, neben dem Mangel an Stickstoff sind diese mageren Standorte ziemlich unterschiedlich. Und genauso unterschiedlich sind auch die Pflanzen, die sich dort ansiedeln. Auf Salzwiesen wachsen Pflanzen, die mit dem extrem hohen Salzgehalt umgehen können, wie der Meersenf. Auf Sand-Standorten brauchen Pflanzen einen besonders guten Strahlungs- und Austrocknungsschutz. Die Sand-Strohblume bringt diese Anpassung mit und hat sich auf diesem Standort ihre Nische gesichert.
Auch auf mageren Standorten herrscht ein gewisser Konkurrenzkampf. Aber die Chancengleichheit ist besser verteilt. Deshalb sind magere Standorte ein Paradies der Ausgestoßenen und Vertriebenen. Auf den Fettwiesen haben sie keine Chance. Aber mit ihren Anpassungen wachsen sie mehr oder weniger frei von Konkurrenz.
Vielfalt braucht magere Böden.
Obwohl ich Biologie und Naturschutz studiert habe, habe ich lange gebraucht, um das zu verstehen. Aber so schwer ist das eigentlich nicht, oder?