Der Tod lauert im Paradies. Was wie ein billiger Film aus den 80er Jahren klingt, ist traurige Wirklichkeit. Das wertvolle Ökosystem der Korallenriffe, Nahrungsquelle und Schutzraum für 25% aller im Meer vorkommenden Arten, kämpft ums Überleben. Doch was bedroht diesen besonderen Lebensraum? Und warum ist er so wichtig?
*Die Ökosystemdienstleistung von Korallenriffen wird auf 80.000-460.000€ pro km² geschätzt. Bei einer Fläche von 300.000km² ergibt das die unfassbare Summe von 138 Billionen € (‘In the front line‘, UNEP Report 2006).
Es sind besorgniserregende Zahlen, die uns von den Korallenriffen erreichen. Australische Wissenschaftler berichten, dass im Great Barrier Reef im Laufe der letzten 30 Jahren die Hälfte der Korallen nachhaltig geschädigt wurden. Auch von anderen Riffen gibt es ähnliche Hiobsbotschaften. Auf den Seychellen verwandelte sich die bunte Unterwasserwelt in eine trostlose Skelettlandschaft: dort zerstörte die Korallenbleiche vor einigen Jahren 90 Prozent der Korallenriffe. Und das sind nur zwei prominente Beispiele. Weltweit gelten knapp 60% der Korallenriffe als gefährdet.
Die Korallenriffe sind ein faszinierendes Ökosystem. Sie beherbergen in gesundem Zustand einen bunt schillernden Lebensraum in den prächtigsten Farben. Zwischen gelben Steinkorallen, roten Feuerkorallen und braunen Gorgonien schwimmen orange-leuchtende Fahnenbarsche. Blau-schwarze Putzerlippfische stehen in Putzstationen zur Verfügung, um kleine Demoiselle, runde Kugelfische und die größeren Zackenbarsche von Parasiten in den Schuppen zu befreien. Nahrung gegen Gesundheit lautet das Motto.
All die Vielfalt ermöglichen die riffbildenden Steinkorallen. Korallen sind faszinierende Organismen, die, wie die Quallen, zu den Nesseltieren gehören. Für die Bildung der Riffe sind die sesshaften Steinkorallen verantwortlich. Die Nesseltiere können in verschiedensten Formen auftreten: allein die Steinkorallen können massiv, starr und leblos wie ein großer Gesteinsbrocken erscheinen, wie ein Salatkopf gefaltet sein oder in Form eines kleinen Kakteen-Waldes auftreten. Sie sondern über ihren Fuß Kalk ab. Manche gehen dafür eine Symbiose mit kleinen, einzelligen Algen ein. Auch ihre leuchtenden Farben haben sie den Algen zu verdanken, die als Untermieter in den Nährstoffhaushalt der Koralle mit eingebunden sind. Die größte Farbenvielfalt findet sich deshalb kurz unter der Wasseroberfläche. Hier haben die einzelligen Algen das notwendige Licht, dass sie brauchen, um Photosynthese zu betreiben und den Korallen Nährstoffe zur Verfügung zu stellen. Bedingt durch die Symbiose mit den Einzellern können die Kalkabscheidungen bei einer besonders schnell wachsenden Art der Acropora-Korallen ein Längenwachstum von bis zu 25 Zentimeter im Jahr betragen. In größeren Tiefen oder in dunklen Höhlen lebende Korallen ernähren sich vollständig durch das Herausfiltern von Mikroplankton, Nährstoffen und Spurenelemente aus den Meeresströmungen. Die Symbiose mit den lichtabhängigen Algen fällt hier als weitere Nahrungsquelle aus und dadurch auch die bunte Farbenwelt nahe der Wasseroberfläche.
Korallen wachsen langsam. Jahr für Jahr baut sich das Riff zentimeterweise auf und wird schließlich mit seinen Stein- und Fächerkorallen, Gorgonien, Muscheln, Moränen und mehr als 25% aller im Meer lebenden Fischarten zu dem Unterwasser-Paradies, das uns Menschen so fasziniert. Ein langsames Wachstum, dass deshalb besonders stabil ist? Leider nein, Korallenriffe sind extrem sensible Ökosysteme und können die Herausforderungen von Klimawandel und Umweltverschmutzungen nur bis zu einem gewissen Grad kompensieren.
Bedrohte Paradiese
Welche Bedrohungen gibt es für Korallenriffe?
Steigende Meerestemperaturen
Eine Bedrohung ist seit den 1970er Jahren bekannt und wird seitdem wieder und wieder rund um den Globus beobachtet: Steigende Wassertemperaturen sorgen für leblose Korallenriffe. Farblos und abgestorben ist alles Leben aus ihnen verschwunden. Erwärmt sich das Wasser, werden die symbiotischen Mieter der Korallen zum Problem. Selbst bei kurzfristigen Temperaturerhöhungen beginnen die Algen giftige Substanzen abzusondern. Die Korallen reagieren und kündigen den Mietvertrag. Doch dadurch fehlt ihnen Nahrung, die sie aus der Symbiose ziehen: Sie bleichen aus. Das sensible Ökosystem der Korallenriffe droht abzusterben.
Versauerung der Meere
Der stetig ansteigende Gehalt von Kohlendioxid in der Atmosphäre bedroht auch die Meere. Denn das Gas löst sich im Meerwasser und geht eine neue chemische Verbindung ein: Kohlensäure entsteht. Dadurch verändert sich der pH-Wert der Meere. Die Folge sind weniger Kalk und damit weniger Baustoff für die Riffe. Die Korallen wachsen langsamer.
Korallenbrüche
Nahe der Wasseroberfläche treten immer wieder Verletzungen des Riffes durch unvorsichtige Schnorchler auf. Mangelndes Bewusstsein für das fragile Ökosystem, unvorsichtige Flossenbewegungen und fehlender Abstand zum Riff können den Korallen dabei schnell zum Verhängnis werden. Eine noch größere Gefahr ist die Dynamitfischerei, die durch eine enorme Sprengkraft und giftige Rückstände im Wasser eine irreversible Zerstörung der Riffe nach sich zieht.
Räuberei
Auch kleinere Organismen können den Korallen großen Schaden zufügen. Meeresschnecken wie Drupella cornus fühlen sich bei steigenden Wassertemperaturen pudelwohl und fügen den dadurch ohnehin gestressten Korallen der Steinkoralle Acropora enorme Fraßschäden zu. Auch der Dornkronen-Seestern ist für das Absterben der Korallenriffe mit verantwortlich. Das rotgefärbte Tier ernährt sich von Korallen und ist dabei sehr effizient: Ein einzelnes Tier kann innerhalb eines Jahres 13 Quadratmeter Korallenriff vernichten. Der menschliche Einfluss bringt die Räuber-Beute Balance aus dem Gleichgewicht. Eine Ursache für die seit einigen Jahren regelmäßig auftretenden Epidemien der Seesterne, die wie Heuschrecken über die Korallen herfallen, ist die Überfischung der Meere und der daraus entstehende Mangel an natürlichen Feinden wie Tritonshorn und Oktopus.
Naturphänomene
Das Naturphänomen El Nino kann die Wassertemperatur um bis zu vier Grad erhöhen – viel zu viel für das fragile Gleichgewicht, das im Ökosystem des Riffes herrscht. Eine Korallenbleiche, wie im Jahr 1998 auf den Seychellen, kann auf die erhöhten Temperaturen folgen. Tropenstürme, die durch den Klimawandel zunehmen, können den Korallen bis in 40 Meter Tiefe enormen Schaden zufügen. Die dabei begleitenden Niederschläge spülen Boden vom Festland ins Meer. Und bringen damit auch Dünger und Nährstoffe in das eigentlich nährstoffarme System. Die Folge ist ein weiterer Stressfaktor für die Korallen:
Nährstofffluten
Denn die vermehrte Verfügbarkeit von Nährstoffen bringt die Korallen in Not: Algen vermehren sich, bilden einen dichten Rasen über den Ästen der Nesseltieren. Ist das Hinterland abgeholzt, wird Sand und Schlick aus den Flüssen in die Meere getragen. Die Partikel der Flüsse trüben das Wasser und verhindern dadurch Photosynthese. Setzen sich die Partikel ab, bedeutet das für die Riffbewohner eine unerwünschte Rutschpartie. Sie können sich auf dem Algenschleim nicht mehr halten und die Riffe verlieren so ihre alteingesessenen Bewohner.
Überlebensnotwendiges Schutzgut
Sie bedecken nur 0,1-0,2% der Ozeane, tragen aber eine der bedeutendsten Rollen in der Ökologie der Meere. Die (menschgemachten) Bedrohungen müssen reduziert, die Risiken minimiert und die Korallen geschützt werden. Denn ein Sterben der Korallen würde zu einem immensen Artenverlust führen und wäre ein ökonomisches Desaster für Entwicklungsländer. Doch was genau macht sie so wertvoll?
Korallen sind die Kinderstuben der Meere. Sie bieten den notwendigen Schutz für die Brutpflege und die Aufzucht der Jungen und stellen die notwendige Nahrung. Zahlreiche Fischarten, die im erwachsenen Stadium im offenen Meer beheimatet sind, sind im jugendlichen Stadium in der verwinkelten Unterwasserwelt der Riffe zu finden.
Die Korallenriffe gelten neben den tropischen Regenwäldern als der artenreichste Lebensraum der Erde. Ein Drittel aller im Meer lebenden bekannten Arten ist dort beheimatet. Geht dieser Lebensraum verloren, hat das dramatische Auswirkungen auf das gesamte Arteninventar der Ozeane.
Da das Ökosystem der Korallen so sensibel ist, schlägt es als Frühwarnsystem für den schlechten Zustand der Meere Alarm. Die Meere sind bedroht: denn mit dem Schwund der Korallenriffe entsteht eine Sogwirkung, die andere marine Lebensräume auch verschwinden lassen würde.
Die vielen kleinen Nischen der Riffe sind eine starke Triebkraft für den Motor der Evolution. Einzelne Arten „verirren“ sich in Spalten und Schluchten, sind von Artgenossen isoliert und entwickeln mit der Zeit eine neue Spezies. Die Artenzahl nimmt so stetig zu und bereichert durch den Export in die Umgebung die Diversität im Meer. Davon profitieren auch angrenzende Regionen.
Mehr als eine Million Lebewesen sind weltweit in den Riffen beheimatet. Welchen Nutzen bieten sie den Menschen? Biologen und Pharmazeuten untersuchen die Diversität dieses Lebensraums und fanden beispielsweise in der Kegelschneckengattung Conus chemische Verbindungen, die als Schmerzmittel für chronisch Kranke und Krebspatienten wirksam sein können. Weitere Wirkstoffe werden untersucht – in einer gefährdeten Diversität, die erst seit Kurzem erschlossen wird.
Auch mehr als eine Milliarde Menschen sind auf ein intaktes Ökosystem der Riffe angewiesen. Zum einen, weil sie sich vom Fischfang ernähren und die in Küstennähe vorkommenden Fische als Nahrung angeln, zum anderen auf die Kinderstube im Riff, die für den Nachwuchs an Hochseefischen sorgt.
Zudem sorgen die Korallenriffe für einen natürlichen Küstenschutz. Stürme und Wellen werden von den Riffen gebrochen. Baggert man diese natürliche Barriere ab, wird das Ufer weggespült und muss künstlich gesichert werden.
Ein intaktes Korallenriff zieht Taucher und Schnorchler an und bietet für Anrainer-Staaten eine Einnahmequelle durch den Tourismus. Ein nachhaltiger Tourismus bietet ärmeren Küstenregionen wirtschaftliche Chancen. Damit dies auch in Zukunft möglich ist, müssen Schutzmaßnahmen zum Erhalt der Riffe getroffen werden. Eine Aufklärung der Wassersport-Begeisterten Touristen, ausgewiesene Schutzzonen, die von Tourismus und Fischerei ausgespart werden, schonen die Riffe und sorgen für Erholung im Fischbestand.
Apokalypse oder Happy End?
Wie geht es mit den Korallenriffen weiter?
Korallenriffe beherbergen eine enorme Vielfalt an Lebewesen. Nicht umsonst werden sie auch die „Regenwälder der Meere“ genannt. Doch über 30% der Riffe sind dauerhaft geschädigt und bis 2040 könnten 60% irreversible zerstört sein. Das Tempo der Umweltveränderungen ist zu hoch, als dass sich die Korallen daran anpassen könnten. Die Riffe brauchen deshalb menschliche Hilfe.
Es braucht weitere Schutzmaßnahmen, wie ausgewiesenen Schutzzonen und ein nachhaltiger Fischfang. Zudem fehlt ein gesteigertes Bewusstsein, wie wertvoll die schillernde Welt der Riffe ist. Das zeigt die Genehmigung eines Kohlehafens in Australien in der Region des Great Barrier Reefs im Jahr 2015. Obwohl das Riff seit 1981 offizielles Weltnaturerbe der UNESCO ist, setzte sich die australische Regierung bisher nicht ausreichend für seinen Schutz ein.
Wie sich die Zukunft der Riffe weltweit gestaltet, darüber sind sich Forscher uneinig. Manche halten es für wahrscheinlich, dass die Riffe vom Äquator weg in Richtung der Pole wandern. Doch dafür müssen sie sich reproduzieren und gestresste Korallen stellen häufig ihre sexuelle Reproduktion ein. Geforscht wird deshalb in viele Richtungen: Es wird an der Umsiedlung von Korallen geforscht und an einer künstlichen Befruchtung, um die genetische Vielfalt zu erhalten und damit auch ihr Überleben. Andere Forscher sind optimistischer und halten die Anpassungsfähigkeit der Riffbewohner für größer als vermutet. Schließlich gab es in den 400 Milliarden Lebenszeit der Korallen schon einige Klimaveränderungen und Herausforderungen, die sie gemeistert haben. Ob sie es jetzt wieder schaffen?
Wollen wir es hoffen!